ChatGPTWie Künstliche Intelligenz bereits jetzt den Unterricht verändert
Eine Deutschstunde im Dezember – viele Krankheitsfälle, schlechtes Wetter, wenig Motivation im Klassenzimmer. Meine 10. Klasse und ich machen das Beste daraus und nutzen die Gelegenheit, um eine außerplanmäßige Wiederholungseinheit für die Abschlussprüfung einzulegen. Als Auftrag sollen die Schülerinnen und Schüler selbstständig eine Checkliste für das Schreiben einer Texterschließung erstellen. Mithilfe ihrer Tablets darf recherchiert und im mebis-Kurs gestöbert werden. So weit, so unspektakulär. Nach 15 Minuten bekomme ich die ersten Ergebnisse zu sehen. Die Qualität ist verblüffend gut. Wie kann das sein, dass die Klasse das heute so schnell hinbekommt?
Des Rätsels Lösung ist, dass die Klasse ein wenig geschummelt hat – und zwar mit künstlicher Intelligenz. Mithilfe des Chatbots „ChatGPT“ lassen sich in kürzester Zeit ganze Musterlösungen erstellen, Texte schreiben, Fakten recherchieren und sogar Rechenaufgaben lösen. Wie das funktioniert? Man gibt einfach Befehle und Stichwörter in ein Eingabefeld ein und dann legt die Künstliche Intelligenz auch schon los und spricht quasi mit der Verfasserin/dem Verfasser des Eingabebefehls:
Zugrunde liegt der Anwendung ein sog. Sprachmodell namens GPT-3, das von der Firma OpenAI derzeit zum Test online frei zugänglich gemacht wurde. Es arbeitet quasi wie ein Würfel und stellt Wörter als Zahlenreihen dar. Dabei kann ChatGPT sogar durchaus unterschiedliche Kontexte „verstehen“, auch wenn es sich natürlich um „Berechnungen“ statt um „Textlogik“ handelt. Via TikTok und anderen Social-Media-Plattformen wird das Ganze unter Schülerinnen und Schülern gerade rege geteilt und wie gesehen auch schon erfolgreich im Unterricht eingesetzt.
Was die Klasse nicht wusste: Ich hatte ChatGPT vorher schon selbst ausprobiert. Wie man den Screenshots entnehmen kann, liefert das KI-Tool recht interessante und brauchbare Ergebnisse. Durch gezieltes Nachfragen kann man dann sogar richtig „ins Gespräch“ kommen und weiterführende Informationen erhalten. Mir war klar: Das hat großes Potenzial, um den Unterricht nachhaltig zu verändern. Der Beweis folgte dann, wie beschrieben, bereits einige Tage später.
KI im Unterricht ist ab sofort auf jeden Fall keine Science-Fiction mehr. Wie jede Innovation bietet ChatGPT einige spannende Chancen, die für Schülerinnen und Schüler gerade beim Recherchieren („Googlen“ war gestern!) oder beim Schreiben von Texten liegen könnten. Man kann sofort Feedback erhalten oder auch sich Vorschläge anzeigen lassen, wie man einen Text z. B. weiterschreiben könnte. Aber auch für Lehrkräfte bieten sich Einsatzmöglichkeiten: So kann ChatGPT sogar Tests und Arbeitsblätter erstellen. Zudem liefert die KI eine zeitressourcenschonende Möglichkeit, um z. B. Elternbriefe zu verfassen. Mit den passenden „Prompts“ (= Stichwörtern / Bedingungen) gefüttert, könnte die Schreib-KI diese Arbeit erledigen (finde ich persönlich zwar irgendwie fragwürdig, wenn man die Elternkommunikation so definiert, aber probieren Sie es mal aus und staunen Sie, wie passgenau ChatGPT hier formuliert).
Wenn man die Risiken nicht verschweigen will, muss man natürlich darauf eingehen, dass ChatGPT auf dem „Wissenstand“ von 2021 ist und (noch) keine Webrecherche integriert hat. Durch die Zufälligkeit des Sprachmodells ergeben sich natürlich auch Fehler, die man aber durch eine „Gegenrecherche“ ja veri- oder falsifizieren kann. Und natürlich werden Schülerinnen und Schüler, die über anschlussfähige Medienkompetenz verfügen, viel sinnvoller mit einer derartigen Anwendung umgehen können.
Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass wir uns proaktiv in den Schulen mit derartigen Neuerungen befassen müssen, um nicht in ungewollte Abhängigkeiten zu geraten, die uns gerade in diesen Tagen doch recht deutlich vor Augen geführt werden.
Daher mein Appell: Schauen Sie sich das Ganze mal an und überlegen Sie, wie wir auf diese Herausforderung als Lehrkräfte - am besten gemeinsam mit unseren Schülerinnen und Schülern - reagieren. Sind Hausaufgaben unter diesen Bedingungen noch zeitgemäß? Wie sieht es denn bei KI-Tools mit dem Urheberrecht aus? Und brauchen wir nicht eine völlig andere Prüfungskultur, wenn Sachkompetenz zukünftig so leicht verfügbar ist
Diskutieren Sie gerne mit mir - entweder auf Twitter oder gerne via mebis. Hier habe ich für Sie einen Fortbildungskurs angelegt, in den Sie sich gerne einschreiben können (Einschreibeschlüssel: eSession).
Kai Wörner
Kai Wörner unterrichtet an der Realschule am Europakanal in Erlangen. Er ist dort Seminarlehrer für Geschichte. Der von Digitalisierung begeisterte Lehrer freut sich auch über Kommentare und persönlichen Austausch zum Thema.