ReferendariatWenn Refis zu Superhelden werden: die erste Lehrprobe
Wenn du dir die Frage stellen musst, ob du das Klassenzimmer staubsaugen und wischen sollst,
... dann weißt du, dass es Zeit für die Lehrprobe ist.
Denke an die enthusiastischen Frauen mit Riesenklunker am Finger, die einen Tag nach ihrer Verlobung mit gelassener Miene und einem Aperol in der Hand so Sachen sagen, wie: „Ich werde meine Hochzeit ganz entspannt angehen, keiner wird gestresst sein. Dresscode? Gibt’s nicht. Alle können es so machen, wie sie wollen. Es ist nur eine Sache von gutem Zeitmanagement.“ Haha – süß.
Ein Jahr später. Es ist eine Woche vor der Traumhochzeit. Das sich ehemals liebende Brautpaar steht kurz vor der Trennung, die Hälfte der engsten Familie ist zerstritten, es tobt ein erbitterter Krieg wegen der Farbwahl von Bridezilla und Helgas Tortenbäckerei steht in Flammen – ja dann ist es genauso gekommen, wie es kommen musste. Die ganze Planung ist für die Tonne. Aber hey:
Deine Vorbereitungszeit beträgt zwei Wochen und kein ganzes Jahr.
In den zwei Wochen der Vorbereitungsphase für deine Lehrprobe wirst du eine Reinigungskraft, ein/e Techniker/in (vor allem für Drucker), ein/e Grafik-Designer, ein/e Filmproduzentin, ein/e Synchronsprecher/in und vor allem wirst du Folgendes sein: unausgeschlafen und etwas unausstehlich. Klar, es gibt auch die sehr Gelassenen. Ich habe sie kennengelernt und sie waren nur minimal gestresst. Aber seien wir mal ehrlich, der Großteil der Refis befindet sich bei der ersten Lehrprobe im Ausnahmezustand. Und egal, wie sehr man sich auf diese Situation einstellt, der Stress bleibt und das hat so einige Gründe:
- Hohe Erwartungen:
In der Regel haben Referendarinnen und Referendare hohe Erwartungen an sich selbst, da sie einen guten Eindruck hinterlassen und ihre Fähigkeiten als Lehrkraft unter Beweis stellen möchten. Dieser Druck kann zu Stress führen.
- Bewertung durch Vorgesetzte:
Die erste Lehrprobe wird in der Regel von erfahrenen Lehrkräften oder Schulleitungen bewertet. Das Wissen, dass die eigene Leistung bewertet wird, kann Stress und Nervosität auslösen.
- Umgang mit Schülerinnen und Schülern:
Referendarinnen und Referendare müssen nicht nur den Lehrstoff vermitteln, sondern auch eine Klassenzimmerdisziplin aufrechterhalten und mit der Klasse interagieren. Die Unsicherheit darüber, wie Schülerinnen und Schüler auf den Unterricht reagieren werden, kann überfordernd sein.
- Vorbereitungszeit:
Die Vorbereitung auf die erste Lehrprobe erfordert oft viel Zeit und Energie. Referendarinnen und Referendare müssen den Unterrichtsplan erstellen, Materialien vorbereiten und sicherstellen, dass alles reibungslos abläuft.
- Angst vor dem Unbekannten:
Da es sich um die erste Lehrprobe handelt, wissen Referendarinnen und Referendare oft nicht genau, was sie erwartet. Dies kann die Unsicherheit verstärken.
- Selbstzweifel:
Viele Referendarinnen und Referendare schätzen zu Beginn ihrer Karriere ihre Fähigkeiten als Lehrkraft gering ein und haben Selbstzweifel. Vor der ersten Lehrprobe können diese noch stärker werden.
- Meilenstein:
Die erste Lehrprobe markiert einen wichtigen Meilenstein in der Ausbildung zur Lehrkraft. Der Druck, diesen Meilenstein erfolgreich zu meistern, kann belastend sein.
Sieben Gründe und sieben Ideen, die dir das Leben (und die Lehrprobe) erleichtern
Ja, die Vorbereitung auf die Lehrprobe kann stressig sein, aber es gibt verschiedene Strategien, um den Stress im Vorfeld zu reduzieren und sich sicherer zu fühlen. Hier sind einige Tipps für deine Vorbereitung:
- 1 Beginne mit der Vorbereitung nach deinem Gefühl: Es gibt Menschen, die starten mit der Vorbereitung in dem Moment, in dem sie das Thema bekommen. Ich verrate dir jetzt etwas: Ich habe die ersten zwei Tage gar nichts gemacht. Manchmal muss man das Thema erst einmal sacken lassen und nach Inspiration suchen. Erst wenn ich von der Muse geküsst wurde, hat bei mir die Vorbereitung angefangen.
- 2 Klare Ziele setzen: Definiere klare Lernziele für deine Schülerinnen und Schüler und lege fest, was du erreichen möchtest. In deinem Kopf klingen manche Sätze logisch und gut. Versetze dich aber in die Lage deiner Schülerinnen und Schüler und überlege ganz genau, ob er oder sie dieses Ziel auch nachvollziehen kann. Mein Tipp: Keep it simple!
- 3 Trockenübungen: Gehe deine Unterrichtsstunde mit Freunden, Familienmitgliedern oder Kolleginnen und Kollegen durch, um dich auf potenzielle Herausforderungen vorzubereiten. Bitte um Feedback, egal wie hart es ist und wie sehr es dich aus deiner Planung wirft. Du wirst sehen: Du brauchst die Perspektiven und den Input von außen. Ich kenne nur Fälle, in denen eine Stunde durch so eine Trockenübung verbessert wurde und nie verschlechtert. Wenn du reflektiert handeln möchtest, dann nutze meinen Feedback-Bogen (siehe unten), den deine Beobachterinnen und Beobachter ausfüllen und dir anschließend zukommen lassen.
- 4 Entspannungstechniken: Nutze Entspannungstechniken wie Atemübungen, Meditation oder Progressive Muskelentspannung, um Stress abzubauen und dich zu beruhigen. Entspannung bedeutet für jede und jeden etwas Anderes. Für mich war es zum Beispiel entlastend, wenn ich in der Vorbereitungszeit einen Tag mit meinen Freunden verbracht und nicht an die Lehrprobe gedacht habe.
- 5 Realistische Erwartungen: Niemand ist perfekt und kleine Fehler oder Unvorhergesehenes können immer passieren. Versuche, dich nicht zu sehr selbst unter Druck zu setzen.
- 6 Unterstützung suchen: Spreche mit erfahrenen Lehrkräften, Mentorinnen und Mentoren oder deinem Kollegium, um Unterstützung und Feedback zu erhalten. Sie können dir wertvolle Ratschläge und Tipps bieten.
- 7 Selbstfürsorge: Pass auf dich auf! Achte auf ausreichend Schlaf, eine gesunde Ernährung (wenn du aber vier Tage hintereinander Fastfood isst, dann hast du es gebraucht!) und körperliche Bewegung, um deine körperliche und mentale Gesundheit zu fördern. Und ganz wichtig: Schlafe ausreichend in der Nacht vor der Lehrprobe.
Wenn du deine Lehrprobe vorab testen möchtest, nutze gerne meinen Feedback-Bogen. Ich würde dir raten, dass du den Probedurchlauf nicht am Tag vor der Lehrprobe durchführst, damit dich der Last-Minute-Input nicht überfordert. Plane den Testlauf so ein, dass du noch drei bis vier Tage Zeit hast, deine Stunde nochmal zu überarbeiten.
Zu guter Letzt: Gestalte den Testablauf gemütlich. Stelle Snacks und einen frisch gebrühten Kaffee für deine Zuhörerinnen und Zuhörer bereit, wenn du ihnen deine Stunde zeigst. Du wirst mit Sicherheit noch keine perfekte Stunde halten. Es wird eine offene Diskussionsrunde, die dir unglaublich helfen wird. Je lockerer die Atmosphäre, desto konstruktiver das Feedback.
Bei einer Sache kannst du dir sicher sein: Sei froh, dass es „nur“ die Lehrprobe ist. Solltest du heiraten, kann ich dir nicht helfen. ;)
Aylin Qasim
Aylin Qasim unterrichtet Deutsch und Geschichte an einer Münchner Realschule und berichtet regelmäßig über ihre Eindrücke und Erfahrungen aus dem Lehrerinnenalltag.