ReferendariatIch bin ein Refi – holt mich hier raus! (Part 1)
Stelle dir folgende Szene vor: Die Referendare Thorsten, Sirin und Annelie sitzen nach der Fachsitzung noch gemeinsam im Seminarraum und verarbeiten das gerade Erlebte. Ihr Seminarlehrer Herr Börner hat ihnen soeben ihre Klassen und auch den Termin für ihre erste Unterrichtsstunde in diesem Schuljahr mitgeteilt. Jetzt wird es ernst. Thorsten starrt aus dem Fenster, während Annelie und Sirin Witze darüber reißen, wie man die erste Stunde sicherlich nicht halten sollte:
Annelie: „Königskrönung ist mein Thema. Wie wäre es, wenn ich einfach direkt als König verkleidet in die Unterrichtsstunde komme. Dann bin ich morgen ein virales Meme im Internet.“
Sirin: „Ich würde sagen: Du kommst normal angezogen und bietest den Schülerinnen und Schülern keine Angriffsfläche. Nur so als Tipp.“
Annelie: „Das ist doch langweilig. Aber jetzt mal ernsthaft: Soll ich in meiner ersten Stunde streng auftreten, sympathisch, locker, böse? Was für ein Lehrertyp bin ich eigentlich? Und was will unser Seminarlehrer sehen? Eigentlich können wir es nur falsch machen.“
Thorsten: „Ach, das ist doch ganz easy: Wir müssen eine inhaltliche Glanzleistung hinlegen und dabei ganz nebenbei eine gute Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern aufbauen. Anders ausgedrückt: Ich will hier weg!“
Moooment, schön hiergeblieben!
Hier bist du nun. Angekommen im Referendariat. Gönne dir zunächst einen kurzen Rückblick und klopfe dir mental oder auch physisch (wirkt nur komisch, wenn dich Leute dabei beobachten) wohlverdient auf die Schulter. Du hast schon viel erreicht. Die nächste und letzte Etappe schaffst du (mehr oder weniger) mit links. Du musst nirgends rausgeholt werden. Versprochen.
Komm erstmal an.
Ziemlich simpel ausgedrückt, aber die ersten Tage eines Schuljahres sind überwältigend. Egal ob Referendar, Referendarin oder langjährige Lehrkraft. Die Arbeit stürzt über einen herein wie ein tosender Wasserfall, organisatorisch läuft es manchmal noch holprig und du lernst auf einen Schlag mindestens 20 neue Personen kennen. Filtere für dich heraus, worauf du deinen Fokus legen möchtest. Wie du das machen kannst, fragst du? Was, du hast nicht gefragt? Gut, dass ich auch ungefragt meine Checkliste für die ersten Tage und Wochen an deiner Einsatz- oder Seminarschule mit dir teile. Let’s go:
- 1 Check die Technik: Klingt banal, aber technische Geräte und Internetzugang sind überlebensnotwendig für die Vor- und Nachbereitung von Unterrichtsstunden. Wenn etwas in den ersten Wochen nicht funktioniert hat, behebe das Problem so schnell wie möglich.
- 2 Check die Termine: Führe einen Kalender oder Terminplaner, in dem du alle wichtigen Termine (von Elternabend bis Fachschaftssitzungen) notierst. Egal ob analog oder digital.
- 3 Check die Leute: Es gibt pro Kollegium mindestens (!) eine Lehrkraft mit großem Herzen. Wenn jemand zu dir kommt und dir Hilfe anbietet, nimm sie an. Außerdem – und ich kann es gar nicht oft genug betonen – ohne die Sekretärinnen und Sekretäre einer Schule würde dort gar nichts laufen. Baue auch zu ihnen ein gutes Verhältnis auf, das nicht auf eine einseitige „Ich brauche dies, das, Ananas“- Interaktion beruht. Dasselbe gilt für den Hausmeister der Schule. Du wirst ihn irgendwann brauchen. (Er freut sich bestimmt über eine Tasse Kaffee.)
- 4 Check deine Materialien: Sortiere deine Materialien, die du für die zugeteilten Klassen benötigst, sichte die Schulbücher und vor allem den LehrplanPLUS. Tausche dich auch mit deinen Kolleginnen und Kollegen aus, solltest du Unterstützung benötigen. Sharing is caring.
- 5 Check dein Arbeitsumfeld: Nimm dir die Zeit und wandere durch das Schulgebäude. Probiere die verschiedenen Kopierfunktionen (*Hust* Broschürendruck auf A4) aus, stöbere in der Schulbibliothek (und luge schamvoll in die Twilight-Reihe), gehe in die Turnhalle und stell dir vor, wie du niemals mehr Bockspringen wirst. Lerne vor allem, wie deine Schule aufgebaut ist und wo sich die einzelnen Räume befinden. Du wirst das ganze Jahr verwirrten Schülerinnen und Schüler den Weg weisen müssen. Das gehört auch zu deiner Funktion als Lehrkraft: Du bist ein Navigationssystem.
- 6 Check deine Gesundheit: Stopp. Durchatmen. Vergiss das nie. Verarbeite jede Information und jeden erlebten Tag auf eine positive Weise. Achte auf dich und dein Wohlbefinden. Gerade in den ersten Wochen geht es turbulent zu und der Sinn und Zweck ist es nicht, dass man nach drei Wochen völlig ausgebrannt ist. Ein paar der oben genannten Tipps kannst du beispielsweise mal an einem späten Nachmittag umsetzen, wenn das Gebäude leer ist und du entspannt durch die Gänge wandern kannst.
Du hast dich mit ihnen vertraut gemacht: Seminarlehrer, Mitrefis, Technikgeräte, Schulhaus. Check! Und jetzt? Ja, die ersten Tage vergehen wie im Flug, aber diese eine Sache rückt immer näher: deine erste Unterrichtsstunde.
Deine Unterrichtsstunde – Vorbereitung und Theorie
Einige von euch haben die erste eigene Stunde schon längst hinter sich gebracht, aber Refis im Seminarjahr stehen das erste Mal vor einer Klasse. Die Art und Weise, wie man eine Unterrichtsstunde vorbereitet, variiert stark in Zeit und Motivation der Lehrperson und das ist auch in Ordnung. Dennoch solltest du einen Weg für dich finden, um eine Unterrichtsstunde so effektiv wie möglich zu gestalten. Gerade wenn man am Anfang einer Lehrertätigkeit steht, bieten sich folgende drei Ratschläge gut an, um vorab Struktur zu schaffen:
- 1 Erstelle einen Stundenverlauf: Dort legst du deine Lernziele, Sozialformen, inhaltliche Erarbeitung und Sicherung tabellarisch fest. Die Übersicht hilft, um inhaltliche Aspekte zeitlich zu erfassen und gegebenenfalls didaktisch zu reduzieren. Einen exemplarischen Stundenverlauf aus meiner Refi-Zeit findest du nach der Auflistung (gern geschehen!).
- 2 Lege deine Lernziele fest: Welches übergeordnete Lernziel ist wichtig? Schreibe dieses auf und nenne mindestens zwei weitere Teilziele.
- 3 Verstehe deine Zielgruppe: Berücksichtige das Alter, das Bildungsniveau und die Interessen deiner Schülerinnen und Schüler, um den Unterrichtsstil und die Inhalte entsprechend anzupassen. Ein Kafka-Verwandlungs-Zitat in einer fünften Klasse hat nur zur Folge, dass die Schülerinnen und Schüler einen Käfer zeichnen werden.
Wenn du die inhaltliche Vorbereitung gemeistert hast, solltest du dir überlegen, wie du einen emotionalen Draht zu der Klasse bekommst. Doch dazu mehr im zweiten Teil meines Blogbeitrags (stay tuned!).
Aylin Qasim
Aylin Qasim unterrichtet Deutsch und Geschichte an einer Münchner Realschule und berichtet regelmäßig über ihre Eindrücke und Erfahrungen aus dem Lehrerinnenalltag.