Digitaler WandelTablet-Klassen an bayerischen Realschulen? So kann’s funktionieren!
„Ja.“ Das ist das erste Wort, das Gregor in «Die Verwandlung» sagt. In Kafkas Werk erwacht der ursprünglich menschliche Georg Samsa eines Morgens als Käfer. In den darauffolgenden Wochen versucht er die Situation zu begreifen und sich neu auf sein Umfeld einzustellen. Er erlebt dabei sowohl Erfolge als auch Misserfolge.
„Ja.“ Das ist auch das erste Wort bei der Beantwortung der Frage, ob man Klassen mit Tablets ausstatten solle. Die Verwandlung lässt sich dabei hervorragend als Analogie für diesen Beitrag nutzen. Der digitale Wandel schreitet in großen Schritten voran, der umfassende Tablet-Unterricht steht vor der Tür und stellt uns vor einem Verwandlungs-Prozess im und außerhalb des Klassenzimmers. Und bevor eure kritischen Stimmen erklingen, kann ich nur sagen: Chillt mal, immerhin seid ihr keine Käfer.
Wie bin ich zu meiner Tablet-Klasse gekommen?
Manch eine oder einer wird langsam anzweifeln, ob ich wirklich die Expertise in so vielen Bereichen als noch recht junge Lehrerin habe. Das ist eine berechtigte Frage. Es ist folgendermaßen: Dank meines People-Pleaser-Syndroms habe ich zu vielen Projekten „Ja“ gesagt, aber die Entscheidung auch nur selten bereut. So auch, als man mich nach einem halben Jahr an meiner aktuellen Schule fragte, ob meine Klasse 7e eine Tablet-Klasse werden möchte. Aufgrund meines Seminarjahres an der Realschule am Europakanal war ich bereits mit dem Tablet-Unterricht vertraut und meine aktuelle Schulleitung hatte mich als die perfekte Kandidatin für das Pilot-Projekt gesehen. Trotz meiner Refi-Erfahrungen an der Realschule in Erlangen waren es mühsame erste Wochen, die sich aber inzwischen ausgezahlt haben. Um euch also auf so eine ähnliche Situation vorzubereiten, habe ich ein Jahr lang all meine Gedanken gesammelt, die euch auf die Umrüstung zur Tablet-Klasse unterstützen könnten.
Der Käfer auf dem Rücken
Die gesamte Schule hängt mit drin. Als Individuum reißt man in einer Tablet-Klasse nichts. Das sollte euch erstmal klar sein, bevor jetzt gleich der Berg an Informationen folgt. Ja, es wird herausfordernd und man empfindet teilweise einen Kontrollverlust (Das sollte eigentlich ein Satzgefüge mit einem aufbauenden Nebensatz werden, aber parataktisch gefällt er mir besser). Ich bleibe also erstmal bei den Herausforderungen.
Die Einführung von digitalen Endgeräten in analogen Klassen bringt zahlreiche Vorteile mit sich, aber auch einige Hürden, die es zu überwinden gilt. Es wäre naiv anzunehmen, dass der Tablet-Unterricht problemlos startet – und vielleicht gerade deswegen, sind viele Kolleginnen und Kollegen demgegenüber skeptisch eingestellt. Die eigentlich größte Herausforderung besteht darin, dass der gewohnte Unterrichtsablauf sich stark ändert. Dies betrifft mehrere Aspekte:
- 1 Unterrichtsstruktur: Die herkömmliche Unterrichtsroutine, die auf Heften, Büchern und klar definierten Arbeitsphasen basiert, muss neu gedacht werden. Die Integration von Tablets erfordert eine Anpassung der bestehenden Strukturen, was anfangs zu Unruhe und Unsicherheit führen kann.
- 2 Zeitmanagement: Die Zeitplanung für die Bearbeitung von Aufgaben ändert sich. Der Einsatz digitaler Medien kann zwar effizienter sein, verlangt jedoch eine neue Herangehensweise im Hinblick auf die zeitliche Gestaltung des Unterrichts.
- 3 Zugangsdaten: Eure Schülerinnen und Schüler müssen lernen, wie sie ihre Passwörter sicher und dennoch zugänglich verwalten. Dies erfordert eine gezielte Schulung im Umgang mit Passwortmanagern oder sicheren Speicherorten.
- 4 Sicherungskopien: Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Nutzung von Tablets im Unterricht ist die regelmäßige Erstellung von Sicherungskopien. Es hat sich gezeigt, dass Programm-Updates manchmal zum Verlust ganzer digitaler Hefte führen können. Daher ist es essenziell, dass Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie ihre Daten zuverlässig sichern können.
- 5 Eltern und Tablets: Die erfolgreiche Integration von Tablets im Unterricht erfordert nicht nur die Schulung der Schülerinnen und Schüler, sondern auch die aktive Einbindung der Eltern. Damit die Eltern ihre Kinder effektiv unterstützen können, müssen sie ebenfalls umfassend informiert und geschult werden. Eltern sollten zum Beispiel wissen, wie sie die digitalen Hefte ihrer Kinder regelmäßig überprüfen können.
- 6 Kolleginnen, Kollegen und Tablets: Eine erfolgreiche Einführung von Tablets im Unterricht erfordert eine enge Zusammenarbeit und abgestimmte Vorgehensweisen zwischen den Lehrkräften. Einheitliche Regeln und klare Anweisungen tragen dazu bei, dass Verwirrung bei den Schülerinnen und Schülern vermieden wird und ein reibungsloser Ablauf gewährleistet ist.
- 7 Und zu guter Letzt: Regeln, Regeln, Regeln. Es führt kein Weg daran vorbei, bestimmte Regeln aufzustellen, wie z. B. keine Getränke in der Nähe der Tablets, keine unerlaubten Fotos im Klassenraum, keine Spiele usw.
Jetzt fragt ihr euch wahrscheinlich: Warum sollte ich mir das als Lehrkraft antun? Antwort: Weil die Vorteile meiner Meinung nach ganz klar überwiegen. Die Anordnung meines Beitrages sollte nämlich auch Tablet-Skeptiker bewegen, diesen Beitrag zu lesen (ich bin so gerissen und schlau – außer natürlich die Skeptiker hören jetzt mit dem Lesen auf ...).
Vorteile von Tablets im Unterricht:
- 1 Reduzierter Kopieraufwand: Es werden maximal drei Kopien benötigt (für den Fall, dass bei einzelnen Schülerinnen und Schülern technische Probleme auftreten).
- 2 Digitale Tools: Der Einsatz von Tablets ermöglicht eine breite Palette an digitalen Werkzeugen, was den Unterricht abwechslungsreicher gestaltet und grundlegende Kompetenzen im Bereich der digitalen Handlungsfähigkeit fördert.
- 3 Einfache Vertretungsstunden: Spontane Vertretungsstunden lassen sich problemlos gestalten, da die digitalen Ressourcen jederzeit verfügbar sind.
- 4 Kein Einsammeln und Tragen von Heften: Wir Lehrkräfte müssen keine Hefte mehr einsammeln und transportieren. Stattdessen können Dateien bequem digital verteilt werden.
- 5 Vielfältige Bewertungsmöglichkeiten: Die Nutzung von Tablets ermöglicht eine breite Palette an Notengebungsmöglichkeiten. Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel Erklärvideos drehen, Podcasts aufnehmen und viele weitere kreative Projekte realisieren.
- 6 Nie wieder vergessene Materialien: Die Wahrscheinlichkeit, dass Schülerinnen und Schüler ihr Material daheim liegen lassen können, geht dank dem digitalen Endgerät gegen Null. Für den Fall, dass der Akku leer ist, kann eine Klassen-Powerbank, die von jedem einmal verwaltet wird, Abhilfe schaffen.
„Nein.“ Das ist die letzte Aussage von Samsa in Kafkas «Die Verwandlung» und auch meine Antwort auf die Frage, ob es in den nächsten Jahren an unseren Schulen ohne Tablets funktionieren wird. Die Welt, in der wir leben, ist digital. Individuell darf es einem natürlich widerstreben, aber Bildungseinrichtungen sollten Schülerinnen und Schüler nicht die Schulung der Kompetenzen verwehren, die sie in ihrem späteren Berufsleben benötigen.
Um euch abschließend zu zeigen, wie der Tablet-Unterricht nach einem Jahr Pilot aussieht, habe ich gemeinsam mit der Klasse 8e ein kleines Video gedreht:
Aylin Qasim
Aylin Qasim unterrichtet Deutsch und Geschichte an einer Münchner Realschule und berichtet regelmäßig über ihre Eindrücke und Erfahrungen aus dem Lehrerinnenalltag.