Coming-out in der Schule„Mein Leben ist definitiv bunter geworden!“

Hallo,
mein Name ist Simone. Ich bin Lehrerin an einem Gymnasium in Oberbayern. Ich habe zwei Kinder, Daniel und Johannes. Der Ältere ist 2000 geboren, der Jüngere im Jahr 2003. Als Johannes in der siebten Klasse war, hatte er sein Coming-out. Wir waren zu zweit ein paar Tage im Urlaub, als er mir sagte, er sei bi.

Es gibt ja die Theorie vom „inneren Coming-out“: ein Prozess, der dem offenen Aussprechen der eigenen sexuellen Orientierung vorausgeht und eben im Verborgenen stattfindet. Er ist oft mit Leiden, Hadern verbunden und dauert lange. Das „innere Coming-out“ merkt man als Eltern aber nicht so einfach. Nach seinem Coming-out bei mir erfuhr es zunächst die restliche Familie, dann folgte die Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe der Schule. Dieser Weg hat sich natürlich über Jahre hinweggezogen, aber die Kernfamilie war immer mit dabei.

Symbolbild: Regenbogen
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Durch sein Coming-out hat Johannes zu sich selbst gefunden und ist heute viel fröhlicher und freier - das merke ich auch an unserer Beziehung: Wir reden viel offener miteinander als früher, auch über Sex, da ich mich beruflich mit diesem Thema befasse (ich biete unter anderem Sexualerziehung für Jugendliche an). Wir geben uns Buchtipps und tauschen uns über Filme aus. Mit Johannes gibt es jetzt einen qualifizierten LGTBIQ*-Gesprächspartner in der Familie. Das hat auch dazu geführt, dass ich mich beruflich stärker engagiere. Denn ich habe erkannt, wie wichtig es für ihn war, auf eine Schule zu gehen, auf der das Thema offen behandelt wird und es eine gute Anlaufstelle gibt. Dort hat er auch queere Freunde gefunden.

Johannes und ich teilen uns Dinge, die unsere zwei Heteromänner (mein Mann und mein anderer Sohn) nicht so ganz verstehen ...

Symbolbild: Drogerieartikel und ein Küchlein
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Wir gehen z. B. beide gerne in den Drogeriemarkt und können stundenlang Kosmetik aussuchen und ausprobieren. Wir backen beide gerne: Johannes' Torten sind wahre Kunstwerke mit einer fantastischen, selbstgemachten Zuckerdekoration!
Auch mein Alltag ist definitiv bunter geworden, da ein queeres Kind einfach nicht so auf ein klassisches Rollenverhalten festgelegt ist. Da ich keine Tochter habe, ist das – überraschenderweise – sehr schön für mich: alles ist vielfältiger bei uns! Damit hatte ich nie gerechnet.

Auch Johannes‘ eigenes Leben ist fraglos facettenreicher geworden - einfacher aber vielleicht nicht unbedingt. Er wird sicher mit Ablehnungen zu kämpfen haben, doch im Beruf hat er vielleicht auch Vorteile: Schließlich ist er nicht so festgelegt auf heteronormatives Rollenverhalten und dadurch kann er sehr gut vermitteln oder sich in andere hineinversetzen.

Insgesamt ist das Thema „queer“ in den letzten Jahren in vielen Ländern stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, wodurch sich auch gesellschaftliche Veränderungen im positiven Sinn ergeben haben. Doch leider gibt es auch, z. B. in einigen osteuropäischen Ländern, Bestrebungen hin zu vermehrter Ausgrenzung und Diskriminierung von Homosexuellen. Was bleibt, ist der beständige Kampf für Menschenrechte und Gleichberechtigung, sowohl national, als auch im internationalen Rahmen, etwa innerhalb der EU. Denn in einer Vielzahl von Ländern ist Homosexualität sogar noch strafbar: das ist widerwärtig und bereitet unserer gesamten Familie Sorge. Aber unser Sohn ist klug genug, nicht in solche Länder zu reisen. Und wer würde schon in einem derartigen Staat leben wollen? Unruhig macht mich manchmal, dass mein Sohn auch bei uns in Deutschland von irgendwelchen rechten Idioten handgreiflich angegriffen werden könnte, etwa wenn er abends spät unterwegs ist.

Symbolbild: Herzen
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Seinen Freund hat Johannes leider lange nicht auf Partys mitgenommen, das war das Schwerste für ihn. Aber da war zunächst noch eine Blockade vorhanden. Nach dem Abitur hat sich diese dann aufgelöst.
Ein weiterer Schritt fehlt aber leider immer noch: Die weitere Familie weiß nichts über seine Bisexualität. Das liegt hauptsächlich an meinen Eltern: mein Stiefvater ist extrem konservativ und erzkatholisch. Johannes hat Angst, sie könnten ihn dann vielleicht anders behandeln als seinen Bruder.

Die anderen Großeltern sind da entspannt. Meine Stiefmutter hatte früher selbst eine längere Beziehung zu einer Frau und meine Schwiegereltern vermieten schon seit langem ohne Vorbehalte eine Wohnung an ein schwules Paar. Trotzdem dürfen auch diese Großeltern nichts wissen, denn sie könnten sich ja „verplappern“. Ich bedauere das sehr, denn Johannes lebt nun seit mehreren Jahren glücklich in einer festen Beziehung und der Gedanke, dass meine Mutter es nicht weiß, vielleicht nie erfahren wird, betrübt mich. Wir Mütter (und Großmütter) wollen doch immer wissen, wenn unsere Kinder glücklich sind!

Mein Mann und ich haben noch nie wirklich darüber nachgedacht, ob unsere Söhne LGBTIQ* sind. Das spielt für uns keine Rolle - mein Sohn ist mein Sohn. Und allen Eltern, die sich ihren Kindern gegenüber verletzend oder abweisend verhalten, kann ich nur sagen: Liebe hilft! Warum würdest Du ein LGBTIQ*-Kind nicht lieben wollen?

Dein Kind ist dein Kind, egal, wie es ist!

Noch abschließend zum Thema Sex eine kurze Bemerkung: Manche Leute haben mit der Homoerotik das größte Problem. Aber wie bei allen Menschen ist die Sexualität bei LGBTIQ* doch Privatsache und geht mich nichts an. Ähnlich unverständlich ist für mich auch die Frage, ob es mir nichts ausmachen würde, dass mein Sohn vielleicht keinen (biologischen) Nachwuchs bekommt? Mein Sohn lebt sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen und Prämissen. Ob er eigene Kinder möchte oder nicht, ist seine Entscheidung – ganz unabhängig von der sexuellen Orientierung! Natürlich möchte ich gerne Oma werden, aber das liegt so oder so nicht in meinen Händen. Außerdem ist mein Sohn clever: Wenn er eines Tages Kinder haben will, dann schafft er das auch - da gibt es ja inzwischen viele Wege.

Simone Fischer*

Simone Fischer*

* Die Namen in diesem Text wurden auf Wunsch der Familie geändert.

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