Hilfe für ukrainische Kinder und JugendlichePlötzlich ist alles anders
Noch vor wenigen Wochen hätte wohl niemand gedacht, dass ein anderes Thema die Corona-Schlagzeilen in den Schatten stellen würde – weltweit, aber auch an den bayerischen Schulen. Es ist nun seit dem 24. Februar mit dem Angriff russischer Truppen auf die Ukraine Realität geworden. Das betrifft uns alle irgendwie, speziell am Martin-Behaim-Gymnasium aber einige Schülerinnen und Schüler ganz persönlich – sei es, dass sie aus ukrainischen oder russischen, oft auch ukrainisch-russischen Familien stammen, sie Angehörige in der Ukraine oder in Russland haben, sei es, dass sie selbst auch Kriegs- oder Fluchterfahrungen haben (auch aus anderen Gebieten der Welt). Das alles macht den Umgang mit dem Thema im Unterricht und in den Gesprächen der Schülerinnen und Schüler untereinander nicht einfach. Denn auch die anderen Kinder sind überfordert mit den Schlagzeilen und Bildern in den Medien, haben möglicherweise Ängste, die sie niemandem anvertrauen wollen. Es bedarf eines hohen Maßes an gegenseitiger Sensibilität sowie sachlicher Information anstelle von angstmachender Ungewissheit, des Zulassens von Emotionen statt des Schürens von Ängsten, der Vorsicht vor emotionaler Überforderung.
Diese Aspekte haben wir in unserem Kollegium vor dem Schulbeginn nach den Faschingsferien thematisiert. Dadurch konnten die Lehrkräfte die Fragen und ggf. auch Sorgen der Kinder und Jugendlichen im Unterricht angemessen aufnehmen, besprechen und gleichzeitig besonderes Augenmerk auf möglicherweise direkt Betroffene richten. Das Behaim lebt von seiner Vielfalt, die nicht zuletzt durch die vielen Kulturen und Nationen entsteht, aus denen unsere Schülerinnen und Schüler kommen. Dazu gehört auch, dass im Zusammenleben und bei Freundschaften die Nationalität keine Rolle spielt – auch und gerade in dieser Zeit!
Zeichen der Solidarität
Vielfalt und Toleranz als Stärken unserer Schulgemeinschaft – das zeigte sich im Unterricht der verschiedenen Jahrgangsstufen nicht nur in den äußerst differenzierten, respektvollen Diskussionen, sondern auch in einer Initiative von Schülerinnen einer 10. Klasse, unterstützt vom Arbeitskreis „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und unserer SMV, den geflüchteten Familien aus der Ukraine, aber auch aus anderen Kriegs- und Krisengebieten in geeigneter Weise unsere Unterstützung anzubieten. Diese Initiative hat die Klassensprechversammlung aufgegriffen und in einem offenen Brainstorming konkrete Projekte überlegt.
Eines davon wurde bereits in der zweiten Woche nach den Ferien gestartet: Schnell und unbürokratisch wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass zehn Kinder aus geflüchteten ukrainischen Familien in unsere InGym-Klassen aufgenommen wurden. Dafür haben sich spontan mehr als 25 unserer Russisch und/oder Ukrainisch sprechenden Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 12. Jahrgangsstufe bereiterklärt, bei der Anmeldung zu dolmetschen und den neuen Schülerinnen und Schülern durch ein gemeinsames Frühstück den Start in ihr neues Schulleben zu erleichtern.
Willkommens- und Begegnungstag
Aus dem Brainstorming hat sich spontan eine weitere Idee entwickelt, die eine Woche später bei herrlichem Frühlingswetter in die Tat umgesetzt wurde: Ein Willkommens- und Begegnungstag auf unserem Sportplatz, bei dem alle Mitglieder und Freunde der Behaimer Schulgemeinschaft eingeladen waren, die Geflüchtete in ihre Familie aufgenommen oder sonst Kontakt zu ihnen hatten, um sich mit anderen zu vernetzen, aber auch diejenigen, die ihre Unterstützung und Solidarität mit den Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, zeigen wollten – und natürlich unsere neuen Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine selbst zusammen mit ihren Gastfamilien.
Das Behaim ist bunt – und wird immer bunter! (Violetta)
Geplant war ein kleines Fest im März mit Schülerinnen und Schülern, Eltern sowie Lehrkräften, um die frisch am Behaim angekommenen ukrainischen Kinder und Jugendlichen an unserer Schule willkommen zu heißen. Bereits eine Stunde vor Beginn waren fleißige Helfende da, um beim Aufbau mit anzupacken: Die Bänke und Tische wurden aus dem Keller geholt, der Grill zwischen Turnhallen und Neubau aufgestellt, der Flohmarkt mit allerlei Dingen gefüllt. Die anfänglichen Bedenken waren schnell verflogen, als die ersten Kinder begannen, zusammen Volleyball zu spielen. Klar gab es hin und wieder Verständigungsprobleme, aber zum Glück gab es einige, welche zwischen den ukrainischen und anderen Schülerinnen und Schülern dolmetschen konnten und dadurch alles einfacher machten.
Für mich die perfekte Art, die neuen Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine an unserer Schule zu empfangen: mit viel Liebe, Offenheit und Freude – wie es sich für Behaimer gehört! (Violetta)
Einige Schülerinnen und Schüler kamen auf die Idee, einen riesigen Bogen Papier mit Stiften bereitzustellen und alle Anwesenden darauf schreiben und malen zu lassen. Zu Anfang unberührt endete dieses Plakat jedoch voller bunter Malereien und Schriftzüge. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer versuchten etwas Nettes auf Deutsch zu schreiben und die Deutschen versuchten sich am Ukrainischen – ein echtes Zeichen von Solidarität :-)
Schulstart in zwei Willkommensgruppen
Durch den Kontakt zu unserem ehemaligen Schüler und jetzigen Wasserballwart des 1. FCN, Marc Steinberger, gelang es mit der Veranstaltung, schnell und unbürokratisch 21 Kindern und Jugendlichen aus Nürnbergs Partnerstadt Charkiw und drei weiteren Kindern eine Privatunterkunft bei Behaimer-Familien zu vermitteln.
Dazu wurden in unserer Schule zwei Pädagogische Willkommensgruppen eingerichtet, die mittlerweile bereits in ihr neues „Behaim-Schulleben“ gestartet sind. Durch die Bereitschaft aktueller und ehemaliger Lehrkräfte, einer ukrainischen Englischlehrerin und sogar eines Schülervaters, der „hauptamtlich“ an einem anderen Gymnasium unterrichtet, sowie zahlreicher Schülertutorinnen und -tutoren haben unsere neuen ukrainischen Behaimer nun täglich von 8 bis 14.15 Uhr wieder einen schulischen Alltag mit intensivem Deutschunterricht. Sie haben aber auch andere Fächer wie Mathematik, Geographie, Musik und Sport, Hospitationen in Regelklassen sowie regelmäßige Ausflüge zum Kennenlernen der näheren Umgebung. Natürlich ist auch für ein warmes Mittagessen in unserer Kantine gesorgt.
Gabriele Kuen
Gabriele Kuen ist seit 2015 Schulleiterin am Martin-Behaim-Gymnasium, einer Schule im Süden Nürnbergs mit der Tradition, Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer kulturellen und sozialen Herkunft die Chance auf die Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer Talente zu eröffnen – und das nicht nur und in erster Linie im Blick auf die evaluierbare Leistung, die im Zeugnis steht. Ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Menschenbild und demokratische Werte in der Schule für die Schülerinnen und Schüler erlebbar zu machen, ist daher die zentrale Intention der Schulleiterin und ihres Teams.