ErinnerungskulturDigital gegen das Vergessen
Zwei Schlagworte haben den Schulalltag in den letzten beiden Jahren besonders geprägt: Distanz und Digitalisierung. Gerade für das Thema der NS-Zeit ist aber entscheidend, Geschichte authentisch erleben zu können – sei es durch Exkursionen, Ausstellungen oder Zeitzeugenberichte. Wie kann das im digitalen Unterricht funktionieren? Die folgenden Beispiele waren Versuche, gewinnbringend mit der Situation im Lockdown umzugehen.
Kollaborative Quellenarbeit: Widerstand gegen das NS-Regime
Den Widerstand gegen das NS-Regime kann man wahrscheinlich nur richtig verstehen, wenn man den Personen nahekommt, die dahinterstanden: Welche unterschiedlichen Motive gab es für sie, Widerstand zu leisten? Wie unterschiedlich engagierten sie sich? Und wie gefährlich war es zum Beispiel, zur Zeit des Dritten Reichs Flugblätter zu verteilen, wie die Weiße Rose es tat? Dass solche Fragen beim näheren Hinsehen komplexer sind als zunächst angenommen, konnten die Schülerinnen und Schüler im Rahmen ihrer Erarbeitung feststellen.
Das Arbeiten mit einer digitalen Pinnwand gehört mittlerweile bei den meisten Lehrkräften zum Handwerkszeug. Für dieses Thema hatte dieses Medium den Vorteil, dass die Klasse damit ein komplexes Thema übersichtlich behandeln und sich in Kleingruppen ausführlicher mit einzelnen Personen und Widerstandsgruppen befassen konnte. Als Input gab es vorbereitete Quellentexte aber natürlich auch die Möglichkeit der Web-Recherche. Herausgekommen ist ein Lernprodukt zum deutschen Widerstand im Nationalsozialismus, an dem also die ganze Klasse Anteil hatte und das als Grundlage für Kurzpräsentationen diente.
Digitale Führung durch die KZ-Gedenkstätte Dachau
Der Besuch einer KZ-Gedenkstätte ist für die meisten weiterführenden Schulen selbstverständlicher Teil des Geschichtsunterrichts über den Nationalsozialismus. Besonders hier vor Ort lässt sich verstehen, wieso wir als Gesellschaft die Verantwortung haben, die Erinnerung an diese Zeit wachzuhalten. Eine gemeinsame Exkursion aber kam in der Zeit des Lockdowns nicht in Frage. Ich habe deshalb als Alternative einen digitalen Rundgang bei der KZ-Gedenkstätte Dachau organisiert.
Selbstverständlich wären die Schülerinnen und Schüler lieber vor Ort gewesen und hätten sich dort alles angesehen, doch die digitale Führung war trotzdem weitaus mehr, als sich beispielsweise eine Geschichts-Doku anzusehen: Im Rahmen einer Videokonferenz wurden wir von einem Referenten und einer Kamerafrau der Gedenkstätte virtuell empfangen. Nach einem thematischen Einstieg anhand von Bildern wurden wir über das Gelände der Gedenkstätte geführt, vom Lagertor über die Wirtschaftsgebäude, den Appellplatz und die Baracken bis zum Krematorium. Dass es tatsächlich ein gemeinsamer Rundgang war, zeigte sich auch daran, dass die Klasse jederzeit Fragen stellen konnte und diese direkt beantwortet wurden.
Ein digitales Denkmal bauen: Jeder Name zählt
Ein Höhepunkt war der digitale Besuch auf der Homepage des Arolsen-Archivs mit der Initiative #everynamecounts. Dort wird ein digitales Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus errichtet, indem nach und nach aus gescannten Personaldokumenten die Namen und Schicksale zugänglich gemacht werden. Das digitale Archiv ist durch internationale Aufmerksamkeit mittlerweile schon stark gewachsen und gehört zum Welt-Dokumentenerbe der UNESCO. Die Schülerinnen und Schüler konnten nun von zuhause aus selbst dabei mithelfen, Personaldaten von gescannten Häftlingskarteien digital zu erfassen, und haben so zum Bau des digitalen Denkmals beigetragen. Anschließend konnten sie dort auch nach dem eigenen oder anderen Familiennamen recherchieren, was für sie sehr spannend war.
Obwohl aus der Not geboren, haben die Versuche gezeigt, dass Geschichte gerade auch digital lebendig vermittelt werden kann. All das lässt sich auch in den normalen Schulalltag integrieren, um so eine moderne Erinnerungskultur zu pflegen.
Johanna Amthor
Johanna Amthor ist Lehramtsassessorin am Ohm-Gymnasium Erlangen. Sie unterrichtet dort die Fächer Deutsch, Geschichte und Ethik und schließt bald ihr Referendariat ab.