Lehrkraft seinDer Countdown läuft ...
Zehn Minuten nach Beginn eines Filmes weiß man doch eigentlich schon, ob er gut ist oder schlecht. Ist er schlecht, kommt man schnell an den Punkt, an dem der Hauptdarsteller mit scharfkantiger „Jawline“ und Armani-Anzug einen nicht mehr wirklich interessiert und die Aufmerksamkeit zum Nebendarsteller wandert, der im Hintergrund den Boden kehrt und dabei den Besen falsch herum hält.
Zehn Monate stehe ich als Lehrkraft vorne und unterrichte. Meine einst scharfkantige „Jawline“ (die ich, um ehrlich zu sein, von vornherein nie hatte) ist längst Schokolade und Stress zum Opfer gefallen und den Armani-Anzug hat es auch nie gegeben (trotzdem ist der Job wirklich gut bezahlt, liebe Lehramtsanwärter). Wir befinden uns in der Schule – kurz vor den Sommerferien. Ich nehme am Spektakel aus der zweiten Reihe teil, ähnlich wie der besenhaltende Statist.
Die Luft ist raus. Wie jedes Jahr im Juli.
Das kleine Trostpflaster: Es ist fast geschafft. Die Gedanken der Kolleginnen und Kollegen sind bereits an den Stränden von Nizza, in den exotischen Gefilden Thailands oder einfach irgendwo, nur nicht mehr in der Schule. Unsere Schülerinnen und Schüler sind da nicht besser. Ihre Gedanken haben sich auch schon teilweise in die Ferien verabschiedet. Auch das Pausenbrot in der Tupperdose freut sich auf sein schimmliges Ende. Noch ein paar zähe Wochen trennen uns von den heiß ersehnten Sommerferien. Die längsten im Schuljahr. Mit dem Notenschluss und dem abnehmenden Druck stellt sich nun die brennende Frage: Wie überlebt man als Schulgemeinschaft diese letzten Tage, ohne komplett ausgebrannt in die Ferien zu starten?
Für mich persönlich ist es wichtig, nicht mehr die Hauptakteurin im Unterricht zu sein. Ein bisschen wie der Nebendarsteller in einem schlechten Film. Aber wie setzt man das um? Damit der Besen nicht verkehrt herum bleibt, sind hier einige meiner Überlebensstrategien:
- 1 Gruppenarbeitsphasen: Gruppenarbeit fördert die Zusammenarbeit und Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler. Sie können Projekte erarbeiten, die ihre Kreativität und Selbstständigkeit fördern. Dabei übernehmen sie unterschiedliche Rollen, verteilen selbständig Aufgaben und lernen, gemeinsam Lösungen zu finden.
Ein Beispiel aus meinem Deutschunterricht: Die Schülerinnen und Schüler lesen einen Jugendkrimi und erstellen wie ein echter Profiler aus Criminal Minds ein Krimiboard, um Verdächtige und Opfer zu verknüpfen. - 2 Lektüreunterricht (Deutsch): Wenn wir schon dabei sind – Bücher bieten eine hervorragende Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler zum Lesen zu motivieren. Gemeinsam wird ein Buch gelesen, diskutiert und analysiert. Dies fördert das Textverständnis und die Ausdrucksfähigkeit der Klasse. Man kann die Diskussionen durch kreative Aufgaben wie das Schreiben von Tagebucheinträgen der Figuren oder das Erstellen von Trailern zum Film ergänzen.
- 3 Exkursionen: Ausflüge zu außerschulischen Lernorten bereichern den Unterricht und bieten praxisnahe Erfahrungen. Sei es ein Museumsbesuch, eine Stadtführung oder ein naturwissenschaftliches Experiment im Freien – Exkursionen machen das Lernen greifbarer und interessanter. Hauptsache man selbst steht nicht mehr vorne in einem Klassenraum mit 30 Grad Raumtemperatur umgeben von süßlichen Vanille-Deo-Düften der Schülerinnen.
- 4 Fächerübergreifender Unterricht außerhalb des Klassenraums: Interdisziplinäre Projekte, die verschiedene Fächer verbinden, ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Ein naturwissenschaftliches Projekt im Schulhof oder ein Kunstprojekt im Park kann das Interesse und die Motivation der Schülerinnen und Schüler steigern. Tipp von meiner Seite: Arbeitet mit Kolleginnen und Kollegen zusammen und teilt euch die Arbeit.
- 5 Unterrichtsthematische Filme mit Arbeitsaufträgen: Filme sind eine abwechslungsreiche Methode, um Themen anschaulich zu vermitteln. Mit passenden Arbeitsaufträgen können die Schülerinnen und Schüler das Gesehene reflektieren, analysieren und diskutieren. Dies fördert das kritische Denken und das Verständnis komplexer Zusammenhänge.
- 6 Feedback einholen: Mir ist es außerdem wichtig, in all meinen Klassen das Schuljahr zu reflektieren. Was haben sie gelernt? Was waren die Höhepunkte? Dies kann in Form von Diskussionen, Tagebucheinträgen oder kreativen Arbeiten wie Postern oder Collagen geschehen. Die Seite FeedbackSchule – Unterrichtsfeedback per App ist eine effektive Möglichkeit, dieses Feedback einzuholen.
- 7 Zukunftsplanung: Mit Schülerinnen und Schülern der höheren Jahrgangsstufen können ihre Pläne für die Zukunft besprochen und kreativ verschriftlicht werden. Dies könnte Berufsorientierung, Ziele für das nächste Schuljahr oder Vorbereitungen auf Prüfungen umfassen.
Raus aus der Schusslinie
Der Juli rückt uns als Lehrkraft in den Hintergrund und das ist auch dringend nötig. Wir müssen administrativ mehr leisten und benötigen die Kapazität, um Zeugnisbemerkungen zu schreiben, Akten abzulegen, Schulkram zu sortieren und das Busunternehmen zu bitten, den Reisepreis vom bevorstehenden Wandertag zu senken. Lehrprobenstunden kann man auch halten, aber seien wir mal ehrlich: Das will doch jetzt keiner mehr.
Es lässt sich deshalb nur noch eines sagen: Haltet durch.
Aylin Qasim
Aylin Qasim unterrichtet Deutsch und Geschichte an einer Münchner Realschule und berichtet regelmäßig über ihre Eindrücke und Erfahrungen aus dem Lehrerinnenalltag.