(Lehrer-)Gesundheit im Blick behaltenSelbstfürsorge in Zeiten von Corona, Krieg und Krisen
Bei den zahlreichen und oft als kaum bewältigbar erscheinenden Herausforderungen, mit denen wir uns zum einen gesamtgesellschaftlich und zum anderen im Kontext der Schule Tag für Tag konfrontiert sehen, laufen Aktivitäten zur Selbstfürsorge Gefahr, vergessen zu werden.
Das Konzept der Selbstfürsorge, das man neben dem Alltagsgebrauch aus den Bereichen der Psychologie und der Psychotherapie kennt, beinhaltet laut Klaus Grawe „Aktivitäten, die dem psychischen und physischen Wohlbefinden dienen und uns helfen, Belastungen und Stress auszugleichen.“ Lehrkräfte und alle Akteure im Kontext der Schule, die derzeit unter Aufbietung großer Kräfte versuchen, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen bei der Bewältigung der krisenhaften Gesamtsituation zu unterstützen und damit einen unschätzbaren Beitrag zur Fürsorge für andere zu leisten, dürfen, sollen und müssen die eigene Selbstfürsorge in den Blick nehmen, um als positive Modelle wiederum den Schülerinnen und Schülern Mut, Zuversicht und an passender Stelle Gelassenheit zu geben.
Individuelle Zugänge zur Selbstfürsorge
Hier gibt es wie bei vielen anderen Dingen auch keine Patentrezepte. So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind ihre Zugänge zur Selbstfürsorge. Dies zeigt eine kleine Befragung von knapp fünfzig Lehrkräften. Nach einem Synonym für den Begriff der Selbstfürsorge gefragt, werden folgende Ideen notiert:
Unabhängig von den eben genannten, individuell verschiedenen Zugängen zur Selbstfürsorge bietet die wissenschaftliche Forschung Anhaltspunkte auf dem Weg zu mehr Fürsorge für sich selbst.
Nahezu alle Theorien der Stressbewältigung und damit der Ansätze zur Steigerung der Selbstfürsorge nehmen die unten stehenden vier Aspekte in den Blick. Beispielhaft mag hier das Modell der „4 Wege der Entlastung“ nach Hillert et. al. vorgestellt werden, wobei die folgenden Tipps natürlich nicht nur Lehrkräften und anderen schulischen Akteuren, sondern auch Schülerinnen und Schülern Ideen für mehr Selbstfürsorge geben können:
- 1 Bei der Bewältigung einer großen Menge von Herausforderungen ist es sehr wichtig, auf den eigenen Körper, die eigenen Emotionen und die eigenen Bedürfnisse zu achten. Das Konzept der Achtsamkeit, das auf die Lehren des Buddhismus und auf Jon Kabat-Zinn zurückgeht, hat inzwischen in vielen Anti-Stress-Konzepten Eingang gefunden und lädt uns ein, immer wieder innezuhalten und durch den Blick auf den eigenen Körper und durch die Introspektion ruhig zu werden - im Klassenzimmer, auf dem Pausenhof oder während einer Auszeit im turbulenten Lehrerzimmer. Tun Lehrkräfte dies beispielsweise auch im Unterrichtsgeschehen in Form kleiner Achtsamkeitsangebote an Schülerinnen und Schüler, erfahren diese wiederum von der Wichtigkeit der eigenen Achtsamkeit. Es gilt, die Stressmerkmale und damit die Warnsignale des Körpers, der laut Martina Schmidt nicht zum „Gehirntaxi“ herabgewürdigt werden darf, und der Psyche ernstzunehmen und akutes Stresserleben gut zu bewältigen, damit es nicht chronisch wird.
- 2 Hand in Hand mit dem achtsamen Umgang mit sich selbst geht die Erlaubnis, gerade in schwierigen Zeiten mit sich und den anderen versöhnlicher und milder als sonst umzugehen. Dabei ist es ganz wichtig zu überlegen, wo sich welches Maß an Energie lohnt, um Dinge zu verändern. Lassen sich Dinge nicht verändern, gilt es mit diesen Sachzwängen Frieden zu schließen. Dabei kann es hilfreich sein, die eigenen Ansprüche und Erwartungen kritisch zu hinterfragen, sich der (System-)Grenzen bewusst zu werden, sich mögliche Prioritäten zu überlegen, sich Fehler zu verzeihen, sich die Inanspruchnahme von Hilfe und Unterstützung zu erlauben, für Dinge und Menschen dankbar sein zu dürfen und mit einer optimistischen Grundhaltung nach Sinn, Chancen und neuen Wegen im eigenen Tun zu suchen. Diese Gedankenarbeit kann noch ertragreicher werden, wenn sie im Austausch mit wohlwollenden Menschen vonstatten geht.
- 3 Von der Erlaubnis, Sachverhalte anders denken zu dürfen, geht es dann ans Tun. Hier kann die Selbstfürsorge gesteigert werden, indem die Herausforderungen in kleinen Schritten mit erreichbaren Zielen - gerne auch mit Hilfe eines unterstützenden Netzwerkes innerhalb und außerhalb der Schule - aktiv angegangen werden. Eine realistische Zeitplanung mit unverrückbaren Pausen, die Verringerung des eigenen Arbeitspensums mit Hilfe eines produktiv arbeitenden Teams, die Inanspruchnahme von Unterstützung und Fortbildungsangeboten, das Setzen von Prioritäten, das Meiden von Energiefressern, das Feiern von Erfolgen und ein an passender Stelle geäußertes Nein können dazu beitragen, die eigene To-Do-Liste Punkt für Punkt zu verringern. Funktioniert Plan A nicht, braucht es ohne Zaudern und Zögern Plan B nach dem Motto, dass Rom schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden ist.
- 4 Keine Leistung ohne Erholung oder besser gesagt: Selbstfürsorge ist oft synonym mit Erholung zu verstehen. Gerade wenn keine Zeit für Regeneration zu sein scheint, ist Zeit für Regeneration besonders wichtig. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die nicht viel kosten müssen, die zur Erholung beitragen, Energien spenden und Genuss verschaffen können: ein Spaziergang am Nachmittag, zehn Minuten frische Luft in einer Zwischenstunde, ein Blick aus dem Lehrerzimmerfenster ins Grüne, die Fahrt zur Schule mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Tasse Kaffee in der Cafeteria neben dem Lehrerzimmer, die Teilnahme am Kollegensport, der Power Nap von zwanzig Minuten nach dem anstrengenden Schulvormittag, der Telefonanruf bei lieben Menschen, am Abend nach getaner Arbeit das Nehmen eines Bades und vieles mehr können die halb bis fast leeren Akkus wieder aufladen. Was wäre das Leben ohne ein Lachen, das von Herzen kommt, ohne einen kleinen Witz, der einer komischen Situation zu verdanken ist? Kennen nicht viele Lehrkräfte den wohlgemeinten und unverzichtbaren Tipp aus der Seminarausbildung, dass eine Schulstunde ohne einmal gemeinsam gelacht zu haben, keine runde Stunde sei?
Selbstfürsorge auch im Alltag umsetzen
Neben vielen populärwissenschaftlichen Werken gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Literatur, mit deren Hilfe die Ideen zur Steigerung der eigenen Selbstfürsorge angereichert werden können. Stellvertretend seien hier zwei Werke genannt: Zum einen bietet das Werk „AGIL – Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf. Ein persönliches Arbeitsbuch“ von Andreas Hillert et al. viele Anregungen und das oben ausgeführte Anti-Stress-Konzept der „4 Wege der Entlastung“. Zum anderen gewährt das Werk „Gelassen und sicher im Stress“ von Gert Kaluza einen Einblick in das Stresserleben und viele Möglichkeiten der Linderung des eigenen Stressempfindens. Auch im digitalen Feld gibt es vielfältige und sehr hilfreiche Anregungen, beispielsweise auf der Homepage des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus in Form von zahlreichen Lehrergesundheits-Podcasts der Lehrergesundheit Oberpfalz. Ebenfalls eine Quelle für eine schier unendliche Menge an Ideen zur Steigerung der Selbstfürsorge bietet die Homepage samt den kostenlos zur Verfügung gestellten Podcasts von Frau Martina Schmidt mit dem Namen „Die kleine Pause“. Frau Schmidt ist Lehrkraft und Fortbildnerin in der Erwachsenenbildung in Nordrhein-Westfalen und weiß aus leidvoller Erfahrung, wie kräftezehrend die Arbeit an Schulen sein kann.
Abschließend sei der Blick auf eine Meisterin der Selbstfürsorge und damit auf ganz praktische Übungsideen gestattet: Wer (wie ich) eine Katze sein Eigen nennt, weiß um die beneidenswerten und unerschütterlichen Fähigkeiten des kleinen Raubtiers in Sachen Selbstfürsorge. Katze müsste man öfters sein können!
Tanja Zink
Tanja Zink ist Schulpsychologin am Hans-Sachs-Gymnasium Nürnberg und seit 2015 Regionalbeauftragte für Lehrergesundheit in Mittelfranken