Psychische Gesundheit von Kindern und JugendlichenMental Health

Was versteht man eigentlich unter „Mental Health“?
„Mental Health“ bedeutet übersetzt „psychische Gesundheit“. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sie als „Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und etwas zu ihrer Gemeinschaft beitragen kann“ (vgl. Bericht über die 63. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa 2013).

Was sich hier so „einfach“ liest, ist bei genauerer Betrachtung schwer zu greifen. Wie realistisch und stabil kann ein solcher Zustand des Wohlbefindens angesichts der Herausforderungen unserer Zeit und im Hinblick auf die Entwicklungsaufgaben, die Jugendliche schon immer zu leisten hatten, sein? Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben zu meistern, erfordert von uns Menschen Veränderung. Veränderung aber löst in vielen Menschen – neben anderen möglichen Gefühlen wie Neugier, Abenteuerlust, Freude – oft auch ein Gefühl des Unbehagens aus. Dieses Unbehagen wird meist als Stresserleben formuliert.

Illustration: Wirrwarr im Kopf
© Maja Rathsam

Insbesondere im Jugendalter sind wir gefordert viele neue, ungewohnte Situationen zu bewältigen und dadurch neue Erfahrungen zu sammeln, die unser zukünftiges Leben mitprägen. Beispiele hierfür sind Berufsfindung, die Ablösung vom Elternhaus oder das Eingehen von Beziehungen. Wir speichern in dieser Lebensphase viele Handlungsstrategien ab und können später auf das bereits vorhandene Repertoire zurückgreifen. So funktioniert unser Leben ganz allgemein: Um im Kleinkindalter laufen zu lernen, müssen wir Phasen des Versuchs und Irrtums, der Frustrationen und der Freude durchleben, um jene Kompetenz Schritt für Schritt aufzubauen. Auch das Meistern von Phasen psychischen Unwohlseins bzw. Krisen muss gelernt werden. Es gehört zu einer normalen menschlichen Entwicklung dazu. Bewältigen wir (psychische) Krisen erfolgreich, wächst unser Selbstwertgefühl und schrittweise auch unsere Selbstständigkeit im Denken und Handeln.

„Was kann ich tun, um mich selbstbewusster zu fühlen? Wie kann ich das Chaos in meinem Kopf kleiner machen? Wie schaffe ich es nicht so aufgeregt vor Prüfungen zu sein?“

Für solche oder ähnliche Anliegen nutzen immer mehr Jugendliche das Angebot, ein Gespräch mit einer Vertrauenslehrkraft, Beratungslehrkraft, einer Schulpsychologin bzw. einem Schulpsychologen oder einer Sozialpädagogin bzw. einem Sozialpädagogen ihrer Wahl vor Ort an ihrer Schule zu führen. Diese Jugendlichen haben bereits eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben gemeistert: Sie haben sich Unterstützung geholt. In vielen Fällen reichen in der Beratung bereits ein paar Termine, um einen positiven Effekt zu erzielen.  

Illustration: Zusammenwirken der Ebenen psychischen Erlebens
© Maja Rathsam

Psychisches Erleben zeigt sich auf einer oder mehreren der folgenden vier Ebenen: den Gedanken, dem Körper, den Gefühlen und dem Verhalten. Sie stehen in einer engen Wechselwirkung.

Diese Wechselwirkung hat auch Vorteile: Wenn wir z. B. unserem Körper etwas Gutes tun, so hat dies ebenso Auswirkung auf unser Denken und unsere Emotionen.

Möglichkeiten zur Pflege der psychischen Gesundheit

Dementsprechend wird in der persönlichen Beratung häufig auf diesen verschiedenen Ebenen angesetzt. Hier einige Beispiele:

Gedanken

Die Kraft der inneren Vorstellung nutzen

Sich vorstellen, man könne sich Eigenschaften z. B.  einer Person, eines Tieres, einer Märchenfigur zu eigen machen, die in der belastenden Situation hilfreich wären.

„Tages-Schatz-Buch“

Jeden Abend vor dem Einschlafen die (kleinen) Freuden des Tages über Gelungenes oder Schönes in ein Büchlein schreiben.

Arbeit an eigenen Überzeugungen über sich selbst
  • (1) Sich ggf. vorhandener negativer Überzeugungen über sich selbst, z. B. „Das schaff ich nie…“, bewusst werden,
  • (2) deren „Wahrheitsgehalt“ prüfen und
  • (3) ihnen auf Erfahrung beruhende konstruktive Sätze gegenüberstellen z. B.„Ich habe bisher schon so Einiges geschafft. Mit entsprechender Vorbereitung und Unterstützung kann ich auch das schaffen.“
  • (4) Körperliche Resonanz/Reaktionen auf konstruktive Überzeugung wahrnehmen.

Körper

Körperliche Warnsignale also solche erkennen:

Warnsingale des Körpers wahrnehmen z. B. ständig wiederkehrende (Kopf-/Rücken-)Schmerzen, Liderzucken, Verspannungen, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, übermäßiges Verlangen nach Essen/Süßem/Alkohol und jene als „Appell“ des Körpers verstehen: „Kümmere dich um dich!“

Entspannungsübung: „Füße Spüren!“

Bei Wahrnehmung von eigenem Unruhe-/Stresserleben:

Innehalten und die gesamte Aufmerksamkeit ganz bewusst in die Füße lenken: „Wie fühlen sich die Fußsohlen an? Kann ich den Boden spüren? Sind meine Füße warm oder kalt?“

Für ein paar Momente dort verweilen, sich neu ausrichten und mit der Aufmerksamkeit wieder (auch) nach außen kommen.

Alternativ kann die Aufmerksamkeit auch auf die Beobachtung des Atems oder auf die Wahrnehmung der Hände gelenkt werden.

Langsamer werden

Bewusst langsamer werden hat eine beruhigende Wirkung auf den Körper (z. B. laaangsaaamer Sprechen, sich langsamer bewegen).

„Power Pose“

Für mindestens zwei Minuten eine Siegerpose oder die Haltung eines Königs/einer Königin einzunehmen. Studien haben einen günstigen Einfluss auf unseren Hormonhaushalt nachgewiesen: die Angsthormone gehen runter, die Hormone, die uns Kraft geben, gehen rauf.

Verhalten

Vermeidung von Suchtmitteln

Suchtmittel betäuben Unruhegefühle und bringen nur vermeintlich Entspannung. Für den Körper stellt der Konsum von Suchtmitteln eine Belastung dar.

Vorbereitet und gestärkt in die Prüfung

Hier hilft eine gute Lernvorbereitung. Siehe hierzu den Beitrag „Tipps von der Trainierbank“!

Auszeiten in der Natur

Die entspannende Wirkung von Naturerleben wird in zahlreichen Studien immer wieder bestätigt.

Gefühle

Informationsquellen nutzen

Wenn es uns nicht gut geht, stürzen wir uns ganz automatisch ins Internet und versuchen uns dort Informationen über unseren Wirrwarr im Kopf und unsere Gefühle zu holen. Aber wo bekommen wir gute Informationen? An dieser Stelle soll auf eine der vielen möglichen, informativen, wissenschaftlich fundierten, weiterführenden Internetseiten zur psychischen Gesundheit hingewiesen werden: https://www.meinkompass.org/de/

Akzeptanz

Zu lernen, wie wir konstruktiv mit auftretenden unangenehmen Gefühlen umgehen können, ist eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben. Normalerweise möchten wir sie einfach so schnell wie möglich wieder loswerden. Gefühle sind immer die Reaktion auf einen Reiz. So kann ein unangenehmes Gefühl auf ein Problem aufmerksam machen. Wenn es uns gelingt, das Gefühl erst einmal zu akzeptieren und auszuhalten, unterbrechen wir das Reiz-Reaktions-Muster.

Illustration: Zusammenwirken positiver Ebenen
© Maja Rathsam

Möglichkeiten wie die oben vorgestellten sind allerdings nur dann wirkungsvoll und nachhaltig, wenn wir sie in unseren Alltag integrieren und regelmäßig praktizieren. Gelingt uns dies, können wir immer wieder den positiven Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen, Körper und Verhalten erleben.

Wichtig ist, dass Jugendliche ihre psychische Gesundheit präventiv pflegen, ähnlich wie beim täglichen Zähneputzen zur Verhinderung von Karies. Es ist jedoch zu beachten, dass, falls eine psychische Erkrankung oder Beeinträchtigung bereits vorliegt, also im übertragenen Sinne ein „Loch im Zahn“ ist, sich von den Schülerinnen und Schülern oder deren Eltern schnellstmöglich ärztliche bzw. therapeutische Hilfe geholt wird.

Möglichkeiten der Schulen

Schule – als wichtiger Lebensraum der Jugendlichen – unterstützt aktiv beim Thema „Mental Health“. Je mehr wir Menschen uns unserer Stärken und Ressourcen bewusst sind, desto resilienter sind wir. Deshalb wird bereits in der Grundschule ein individueller, ressourcenorientierter Blick kultiviert.

Illustration: Ein Netzwerk
© Maja Rathsam

Im Rahmen der Resilienzforschung hat sich des Weiteren gezeigt, dass insbesondere soziale Bezugspersonen wie Freunde, Eltern, Lehrkräfte die psychische Gesundheit positiv unterstützen und begleiten können. Lehrkräfte sind Vorbilder und oft erste Ansprechpersonen bei Schwierigkeiten. Es gilt, durch Gespräche den Schülerinnen und Schülern mögliche Strategien aufzuzeigen und sie in ihrer selbstständigen Bewältigung ihrer Probleme zu unterstützen. Dazu gehört auch, sich bei Bedarf Beratungsangebote außerhalb der Familie und des Freundeskreises zu suchen.

An der Schule vor Ort ist es wichtig, schulische Ansprechpersonen sowie die Kontaktmöglichkeiten zu ihnen und einen niederschwelligen Zugang zu dieser Personengruppe zu ermöglichen (z. B. offene Pause, Sprechstunden, elektronische Erreichbarkeit etc.).

Schule engagiert sich mehr und mehr im Bereich „Mental Health“. Anbei eine exemplarische Zusammenstellung an Möglichkeiten, Aktionen, Projekten, die in diesem Bereich angeboten werden.

Umfassende Schulentwicklungsprogramme wie z. B. „Gute gesunde Schule“ oder Programme wie „STARK“ oder „MindMatters“ sind an einigen Schulen bereits implementiert. Mit der Durchführung von einzelne Projekttagen (wie z.B. „Verrückt? Na und!“) oder theaterpädagogischen Workshops kann die Sensibilität und Aufgeschlossenheit für das Thema erhöht werden wie z. B. die Projekte von Eukitea oder „Icebreaker“.

Die Verankerung des Themas im Unterricht durch die Lehrkräfte ist ebenso wichtig. Konkrete Übungen bzw. Handlungsmöglichkeiten dafür finden Lehrkräfte in der Handreichung des ISB zum Thema „Resilienzförderung im Unterricht“. Darüber hinaus können Lehrkräfte vielfältige Fortbildungsangebote nutzen, sowohl an der Einzelschule z. B. im Rahmen eines pädagogischen Nachmittags wie auch im Rahmen des überregionalen Fortbildungsangebots für Lehrkräfte über FIBS. Mit Unterstützung der Elternvertretung finden an verschiedenen Schulen immer wieder  themenspezifische (online) Elternabende mit externen Fachreferenten statt.

Schule bietet den Schülerinnen und Schülern neben den Bereichen Lernen und Leistungserbringung zunehmend Raum für eigene persönliche Erfahrungen und Reflexion der eigenen Verhaltens- und Denkweisen – losgelöst von Benotung, Bewertung und Beobachtung durch die Lehrkraft. So werden vermehrt gezielte Projekte/Programme in den Bereichen der Stressbewältigung oder psychischen Gesundheit an die Schulen geholt und im Schulprofil verankert. Zwei dieser Projekte bzw. Programme werden im Folgenden kurz vorgestellt:

Beispiel (1): Projekttag an der Schule durchgeführt von zwei Experten von „Verrückt? Na und!“

In diesem Präventionsprojekt für Schülerinnen und Schüler ab 14 Jahren wird unter der Anleitung von zwei externen Expertinnen  bzw. Experten die gesamte Bandbreite von „Nicht-gut-drauf-sein“, über Traurigkeit, psychischem Unwohlsein bis hin zu psychischen Erkrankungen wie z. B. Depression oder Alkoholismus im jeweiligen Klassenverband thematisiert. Dabei geht es vor allem darum, Schülerinnen und Schüler über psychische Gesundheit bzw. auch Krankheiten aufzuklären und den Jugendlichen für den Fall des Falles eigene Handlungsmöglichkeiten und Anlaufstellen zur Unterstützung vorzustellen. Was mache ich, wenn meine Freunde oder ich selbst betroffen sind? An wen kann ich mich wenden?

Ziel ist letztlich die Entstigmatisierung in diesem Bereich und der Abbau von Hemmschwellen. Von den Schülerinnen und Schülern wird der Tag als informativ, hilfreich, gewinnbringend und interessant bewertet.

Irrsinning Menschlich e.V.: https://www.irrsinnig-menschlich.de/psychisch-fit-schule/

Beispiel (2): STARK – Resilienz und Stresskompetenz in Schule und Ausbildung

Im Jugendalter sind die Kompetenzen, mit Veränderungen und den damit einhergehenden Belastungen umzugehen, noch nicht sehr ausgeprägt. Deshalb richtet sich „STARK“ vor allem an Schülerinnen und Schüler ab 16 Jahren.

Resilienz und Stresskompetenz aufzubauen, braucht Zeit und viel Übung. Dementsprechend ist „STARK“ so konzipiert, dass zunächst interessierte Lehrkräfte der eigenen Schule die Programminhalte in einem eintägigen Workshop durch externe Trainerinnen bzw. Trainer vermittelt bekommen. Das ausgebildete „STARK“-Team bietet anschließend die insgesamt sechs Module (jeweils 90 Minuten) als festen Bestandteil des Unterrichtsgeschehens an.

In den einzelnen Modulen haben die Schülerinnen und Schüler dann die Möglichkeit in einem Wechsel aus kleinen Theorieeinheiten und vielen Übungen zur Selbstreflexion, den folgenden vier Fragestellungen nachzugehen: Was ist Stress? Wie entsteht Stress? Wie wirkt Stress bei mir? Wie kann ich Stress bewältigen? Sie lernen z. B. ihre Stressbeschleuniger kennen und bekommen Impulse, wie sie geschickt(er) mit ihnen umgehen können. Mit Übungen aus der Achtsamkeitspraxis bekommen sie Werkzeuge an die Hand, wie sie mit mehr Präsenz durch den Alltag gehen und sich selbst (besser) emotional regulieren können. Und sie erleben, wie gut und stärkend es ist, einen wohlwollenden Blick auf sich selbst und auf andere zu haben bzw. zu entwickeln.

Je authentischer die Inhalte und die zugehörige Haltung von den Lehrkräften und von der Schulleitung vorgelebt werden, umso höher sind die Effekte des Programms.

SCHULEWIRTSCHAFT Akademie im bbw e. V.: https://www.stark-bayern.de

Illustration: Wegweiser
© Maja Rathsam

Diese zwei Programme sind Beispiele aus einer Vielzahl von möglichen Angeboten, wie Schülerinnen und Schüler präventiv in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden können. Sie ermöglichen ihnen Erfahrungen im persönlichen Bereich zu sammeln und zu reflektieren. Somit können sie auch in schwierigen Situationen lernen, eine ressourcenorientierte Sichtweise auf sich selbst zu etablieren. Jede gemeisterte Krise bietet den die Chance, daraus gestärkt mit einem größeren Repertoire an Handlungsstrategien hervorzugehen. Das Sprichwort „Krise als Chance“ kann somit mit Leben erfüllt werden.

Was bleibt?

…die Vielzahl an Möglichkeiten, die psychische Gesundheit im schulischen Kontext zu fördern. Den ersten Schritt zu gehen – als Schülerin, als Schüler, als Elternteil, als Betroffene, als Betroffener, als Lehrkraft, als Schule – ist oft der schwierigste. Es gilt, NEUES auszuprobieren, Entscheidungen zu treffen, sich auf den Weg zu machen und die sich bietenden Chancen wahrzunehmen.

Sonja Koebke

Sonja Koebke

Frau Sonja Koebke ist sowohl am Gymnasium Kirchheim bei München als auch als zentrale Schulpsychologin an der Staatlichen Schulberatungsstelle München Stadt und Landkreis tätig.

www.km.bayern.de

Irene Timm

Irene Timm

Frau Irene Timm ist sowohl an den Berufsschulen Fürstenfeldbruck und Dachau als auch als zentrale Schulpsychologin an der Staatlichen Schulberatungsstelle München Stadt und Landkreis tätig.

www.km.bayern.de

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