HomosexualitätDas neue Normal?
Homosexualität ist gefühlt überall: Werbung, TV, Prominente – Medienunternehmen weltweit setzen immer mehr auf gleichgeschlechtliche Paare. Was anfangs vielleicht noch etwas befremdlich und neu wirken mochte, zeigt heute die gesellschaftliche Akzeptanz, Gleichberechtigung und Diversität – schlichtweg die Normalität. Nachdem sich im letzten Jahr rund 185 deutsche Künstlerinnen und Künstler aus der Film- und Musikbranche als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter und non-binär geoutet hatten (#actout), haben sich nun auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus kirchlichen Institutionen offen zu ihrer Sexualität bekannt (#outInChurch). Von allen Seiten kam Zuspruch, denn es kann uns ja auch persönlich egal sein, wer da wen liebt. Liebe ist einfach nur Liebe … oder? Als schwuler Mann habe ich schon oft über diesen Satz nachgedacht. Und als schwuler Lehrer frage ich mich, wie unsere Jugendlichen mit dieser Aussage wohl umgehen. Vor allem aber, wie ich sie in meinem Beruf dabei unterstützen kann auf ihrem Weg, sich so zu akzeptieren, wie sie sind.
Meine persönliche Geschichte könnte man eigentlich als wahren Klassiker bezeichnen. Mit rund 15 Jahren passierte mir etwas, was ich mir bis dato nicht vorstellen konnte: ich verliebte mich in den Freund einer Klassenkameradin. Damals bei uns auf dem Dorf wurde eigentlich nie über dieses Thema gesprochen, im Gegenteil: Das Wort schwul war eher negativ besetzt. So behielt ich das Ganze also anfangs für mich. Zu groß war die Angst, nicht mehr akzeptiert und nur noch darüber definiert zu werden. Es dauerte Jahre, bis ich diese Angst, das Gefühl mich selbst zu verleugnen und die damit einhergehende Frustration ablegen und zu mir selbst stehen konnte. Was mir dabei half? Ich hatte das Glück, auf Menschen zu treffen, die Toleranz und Akzeptanz nicht nur vorgaben, sondern als Werte auch lebten. Sie führten mir vor Augen, wie vielfältig die von Sexualität bedingten Rollenbilder sein können und dass jedes einzelne davon in Ordnung ist. Sie halfen mir, der Mensch zu werden, der ich heute bin: ein Mann, der zu seiner Sexualität steht – auch wenn er vielleicht selten darüber spricht.
Genau über diesen Punkt grüble ich im Moment oft nach: Wenn ich das Klassenzimmer betrete, kommt mein Privatleben, zumindest was dieses explizite Thema betrifft, nie zur Sprache. Und das, obwohl ich mir sicher bin, dass unter meinen Schülerinnen und Schülern sicherlich die/der ein oder andere mit den gleichen Gedanken konfrontiert ist wie ich damals, den Sorgen, dem Gefühlswirrwarr. Wie geht es ihnen? Könnte ich vielleicht für diese Schülerinnen und Schüler eine Art greifbares Vorbild sein? Vor gut drei Jahren war ich bereits kurz davor, diese Grenze, die ich mir selbst auferlegt habe, zu überschreiten: Eine Schülerin erzählte offen und vorurteilslos von ihrem Onkel, der vor kurzem mit seinem Partner ein Kind adoptiert hatte. Eine andere Schülerin meldete sich daraufhin zu Wort und berichtete über ihre eigenen homosexuellen Erfahrungen.
In solchen Situationen drängt sich mir immer mehr die Frage auf, ob wir hier als Lehrkräfte, ganz im Sinne von #outInSchool, nicht einfach offen darüber sprechen sollten? Für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für deren Eltern, die mit diesem Thema (und vielleicht auch mit sich selbst) hadern. Dann würde sich der Kreis vielleicht schließen und Liebe würde, egal in welcher Form, letzten Endes wirklich zur Normalität werden – auch in der Schule.
Oliver Caut*
* Der Name wurde auf Wunsch des Autors geändert.