Dialekt im UnterrichtDiese Distanz spüre ich bei Dialektsprechenden nicht!
Montag, 12. September 2022, Anfangskonferenz zum Beginn des neuen Schuljahres 2022/2023. Einer der ersten Tagesordnungspunkte: Die neuen Kolleg:innen, darunter auch einige Referendar:innen, werden begrüßt. Viele neue Gesichter, viele neue Stimmen – eine davon lässt nicht nur mich ganz besonders aufhorchen. Mit einer deutlich regionalen Färbung stellt sich Mathias Lang als Referendar für das kommende Schuljahr vor. Ein leises Raunen geht durch die Reihen. Woher kommt der sympathische junge Mann? Etwa aus der Schweiz, wie manche vermuten? Da mich immer schon Dialekte fasziniert haben und ich mich im Studium intensiv mit der sprachlichen Vielfalt des Deutschen befasst habe, ist mir seine Herkunft gleich klar: kein Schweizer, sondern eher aus der näheren Umgebung von Füssen, ganz im Süden an der Grenze zu Österreich, unweit des weltbekannten Schloss Neuschwanstein.
Zum internationalen Tag der Muttersprache am Dienstag, 21. Februar 2023, habe ich mich nun, etwa ein halbes Jahr später, mit Mathias Lang zu einem Gespräch im Lehrerzimmer getroffen, in dem er von seinen Erfahrungen als Dialektsprecher an der Schule und in der Lehrerausbildung berichtet.
Das folgende Interview habe ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit ins Standarddeutsche übertragen – an manchen Stellen habe ich es mir dann aber doch erlaubt, mit den begrenzten Mitteln der Orthografie des Schriftdeutschen seine besondere Sprachfärbung zumindest annäherungsweise wiederzugeben.
Mathias, du kommst aus einer der schönsten Ecken Bayerns. Welches sind denn die sprachlichen Besonderheiten in deiner Region?
Ich bin aus Buching bei Füssen im Landkreis Ostallgäu, im Dreiländereck von Schwaben, Oberbayern und Tirol – wir sind zwar auf der oberbayerischen Seite östlich vom historischen Grenzfluss Lech, aber im Regierungsbezirk Bayerisch-Schwaben und sprachlich vielleicht schon eher „im Tirol“ verortet. So sprechen wir z. B. das „k“ typisch tirolerisch als „kch“. Bei uns fühlt man sich aber auch etwas „schwäbisch“, weil man zum Beispiel „isch“ für „ist“ sagt.
Manche deiner Kolleg:innen oder Schüler:innen haben ja durchaus Probleme, deinen Dialekt bzw. deine regionale Sprachfärbung richtig zuzuordnen …
Ja, das stimmt. In Landsberg werde ich als „der Schweizer“ oder „der Tiroler“ wahrgenommen. In meinem ersten Jahr als Referendar in Freising, im Münchner Norden, war ich immer „der Allgäuer“, weil die da wahrscheinlich nicht wissen, wie der Allgäuer Dialekt klingt. Hier in Landsberg grenzen wir ja ans Allgäu und da ist das dann schon klar: Nein, das ist kein Allgäuer; das kann kein Allgäuer sein.
Gibt es dann nicht auch Verständigungsprobleme mit deinen Kolleg:innen oder Schüler:innen?
Manchmal schon. Gerade Wörter wie „gseet“ für „gesagt“. Das war vor allem in Freising für manche schon gewöhnungsbedürftig. Die haben nachgefragt, ob das „gesehen“ heißt, haben sich dann aber schnell an mein „gseet“ gewöhnt und dann war das nie ein Problem. Man kann ja nachfragen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass man durch den Dialekt oder die sprachliche Färbung auch einen guten Draht zu den Schüler:innen bekommt. Man einigt sich sprachlich eben und kann miteinander kommunizieren. Auch bei anderen Lehrkräften, in Oberbayern zum Beispiel, habe ich den Dialekt oder Akzent nie als Barriere empfunden. Im Gegenteil.
Wie sprichst du dann im Unterricht?
In der Schule und im Unterricht spreche ich eine Sprache, die irgendwie zwischen Dialekt und Standarddeutsch liegt. Auch wenn andere das vielleicht schon als Dialekt bezeichnen – aber das ist nicht der Buchinger Dialekt, sondern ein dialektal gefärbtes Deutsch.
Das klingt bei mir daheim in Buching dann doch noch etwas anders, wenn ich Dialekt spreche. Und wenn ich mal länger daheim gewesen bin, gerade nach den Ferien, merke ich, dass ich oft noch arg im Dialekt bin. „Montag hammer immr Seminar ghett (gehabt) in München“ und da ist mir das dann selber stark aufgefallen.
- Tipp
Zum Kontinuum von Standardsprache über standardnahe und dialektnahe Umgangssprache bis zu Dialekt kann man hier nachlesen.
Eine regional gefärbte Umgangssprache, die zum Beispiel deswegen anders klingt, weil man in deiner Sprachvarietät nicht zwischen dem Ich- und Ach-Laut unterscheidet?
Richtig. In Wörtern wie „natürlich“ und „tatsächlich“ spreche ich eben immer das „härtere“ /ch/, weil das vom Dialekt so durchklingt. Und das wurde von Schüler:innen schon auch manchmal „belächelt“ und ich wurde in Freising von Schüler:innen nachgemacht mit so Lauten wie „kch“, „ch“, „chch“ und so. Aber da habe ich dann das notwendige Standing, stehe darüber und sage: „Das sparen wir uns.“
- Tipp
Der Laut hinter den Buchstaben in den Wörtern „ich“ und „ach“ klingt in vielen Gegenden des deutschen Sprachraums unterschiedlich.
Welche weiteren Erfahrungen hast du als Referendar an Beruflichen Schulen mit dem Thema Dialekt im Unterricht gemacht?
Meist spreche ich schon sehr dialektal und mir wird das auch oft gutgeschrieben, weil das als authentisch und sympathisch empfunden wird, wenn „ma dann o weggoht von dr Schrift“ [wenn man dann auch weggeht von der Schrift]. – [Er überlegt.] Die Impulse, die ich mir für meinen Unterricht ausdenke und mit denen ich arbeite, sind der deutschen Schriftsprache aber natürlich schon angenähert. Auch im Schriftlichen ist ja das Standarddeutsche unser gemeinsamer Nenner; darum kann ich als Berufsschullehrer auch Deutsch unterrichten. Die Schrift vereint uns.
Welche Rückmeldungen bekommst du von Kolleg:innen oder Seminarlehrer:innen, die deinen Unterricht besuchen?
Mein erster Unterrichtsversuch in Mathematik hat damals zwar gut geklappt, aber ich war sehr nervös und habe versucht, sehr Hochdeutsch [Standarddeutsch] zu sprechen. Und dann habe ich hinterher als Rückmeldung bekommen: „Mathias, lass es! Bleib authentisch, verkünstel dich nicht! Jeder versteht dich, bleib dir selber treu!“ Das war wirklich eine gute Erfahrung, weil ich mir dann immer weniger Gedanken deswegen gemacht habe. So war das dann überhaupt kein Thema mehr für mich. Und in meiner letzten Lehrprobe hat mir der Seminarvorstand bei der Notenbegründung gleich als erstes gesagt, dass mein Dialekt kein Bewertungskriterium war. Er meinte vielmehr, dass ich eine ganz authentische Lehrpersönlichkeit bin und dass mein Dialekt auf die Note in der Lehrprobe keinen Einfluss hat.
Hat man deiner Meinung nach eher Vor- oder Nachteile als Lehrer, wenn man Dialekt spricht?
Einen Vorteil habe ich definitiv nicht. Vielleicht wenn es um die Lehrerpersönlichkeit, um das Auftreten vor einer Klasse geht. Wenn der mir gegenüber meine Sprache als sympathisch empfindet. Ich persönlich finde es zum Beispiel sehr sympathisch, wenn jemand Sächsisch redet, aber ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland empfindet das als negativ. Ich sehe es immer als positiv, wenn man es raushört, woher jemand kommt. – Ich glaube, als Lehrkraft hat man keinen Vorteil, aber auch keinen Nachteil davon.
Ist das ein Plädoyer für mehr regionale und dialektale Aussprachevielfalt im Unterricht?
Ja. Ich genieße es, sämtliche Färbungen und Dialekte zu hören. Wenn jemand so gestochen hochdeutsch daherkommt, dann ist für mich fast schon automatisch eine Distanz da. Und diese Distanz spüre ich bei Dialektsprecherinnen und -sprechern nicht. Natürlich kann das aber auch schnell wieder verschwinden und ein herzliches Verhältnis kann genauso gut entstehen. Da gibt es dann für mich keinen Unterschied mehr.
Mathias Lang
Mathias Lang ist Studienreferendar an den Beruflichen Schulen Landsberg am Lech und Quereinsteiger über den Studiengang „Master Berufliche Bildung Integriert – für Ingenieure“ (Fächerkombination Metall und Mathematik). Er hat im Studium und Referendariat die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, sich sprachlich nicht zu verbiegen. Wenn man jemandem seine Herkunft anhört, wirkt die Person authentisch und sympathisch. Außerdem genießt er es sämtliche sprachliche Färbungen und Dialekte zu hören.
Johannes Sift, M.A.
Johannes Sift ist Lehrer an den Beruflichen Schulen Landsberg am Lech mit der Fächerkombination Deutsch und Evangelische Religionslehre. In seinem Studium (Lehramt Gymnasium und interdisziplinärer Elitestudiengang „Ethik der Textkulturen“) und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der FAU Erlangen-Nürnberg beschäftigte er sich mit den sprachlichen Varietäten und Dialekten im deutschsprachigen Raum und arbeitete am Audioatlas Siebenbürgisch-Sächsischer Dialekte an der LMU München mit. Daneben ist er leidenschaftlicher Musikant und spielt in mehreren Musikgruppen traditionelle und neue Volksmusik.